Infos
Seliger Frelichowski - Worte zum Frieden

Seliger Frelichowski - Worte zum Frieden

Texte über Krieg und Frieden 

Am Gedenktag des seligen Stefan Wincenty Frelichowski möchten wir mit Texten
von ihm aus dem Jahr 1939 unseren Teil zur Diskussion beitragen.
Er schrieb diese Gedenken in seiner polnischen Heimat,
die damals auch bedroht war.
Diese Texte erinnern mich an die tapferen Menschen in der Ukraine.
Ein Anstoß zum Nachdenken für uns.

Seine Sicht erscheint auch heute aktuell: Es scheint an einigen Stellen, als ob er sie nicht in 1939 geschrieben hat, sondern gestern oder heute. Stefan Winventy Frelichowsky schrieb diese Gedanken auch an die Schwelle des Krieges.

Es sind drei Artikel in den Zeitabschnitten von je 4 Monaten geschrieben, während der zweite Weltkrieg immer näher kam: im Januar, Mai und September 1939. Der letzte Text wurde eigentlich war schon im Krieg geschrieben, am 3. September 1939. Die Deutschen überfielen Polen 3 Tagen vorher am 01.09.1939, damit begann der zweite Weltkrieg begann. Die Artikel sind leicht gekürzt.

 

Angst und Liebe

vom  22.01.1939

"Ist das Gespenst eines echten Krieges heutzutage nicht mehr weit entfernt, vielleicht nur noch Tage?

Wir alle leben in Erwartung der Möglichkeit eines Krieges, und wir alle sind uns mehr oder weniger bewusst, dass dieser "heutige" Krieg etwas Schreckliches sein wird, etwas so Schreckliches und Verheerendes, dass er in jeder Hinsicht die Grausamkeit und den Schrecken jedes bisherigen zwischenmenschlichen Kampfes übertreffen wird.

Die Beziehungen zwischen Nationen und Völkern sind in einem Dickicht aus Lügen und Heuchelei verstrickt. Friedliche Verträge verbessern nichts, im Gegenteil, sie verschlimmern die Lage. Für den einfachsten Verstand ist es offensichtlich, dass die Welt heute von versteckten und offenen Schurken regiert wird - Schakale, blutsaugende Kreaturen in Menschenhaut, Gangster des modernen Lebens.

Angst regiert allmächtig in offenen internationalen Beziehungen: Ein Meister der Diplomatie und ein gefährlicher Gegner ist derjenige, der dem anderen Angst einflößen kann, und zwar eine echte Angst! Mut und Tapferkeit werden mit Grobheit und Brutalität assoziiert, Freundlichkeit und Güte gelten als Schwäche und Gebrechlichkeit, gegenseitige Liebe wird nicht einmal erwähnt... Und es wird immer schlimmer: Ein Dieb hält den anderen im Schach, einer bedroht den anderen mit einem noch besser und "moderner" bewaffneten Faust, der eine flößt dem anderen immer mehr Angst ein und freut sich, bis er von einem noch Stärkeren eins auf dem stolzen Nacken bekommt...

Wie ist es dazu gekommen, wird es nie besser werden? ... Feigheit ergreift Menschen, die es fürchten, Güte und Liebe zu zeigen! Die Menschen können immer noch nicht verstehen, dass nur ein ekelhafter Feigling droht und mit Angst agiert: Er hat nicht genug Kraft und Mut für Liebe und Güte, aber wenn er sich stark genug fühlt, bedroht er andere, mit den Drohungen erzwingt er Einhaltung. Wenn er den Feind nicht selbst schwächen kann, tut er es gemeinsam mit anderen...

Die Guten und Edlen haben sich irgendwo versteckt und höchstens jammern sie oder zeigen mit dem Finger auf alles: Sie haben das Leben satt und wünschen sich nur, dass sich diese Wölfe und Schakale so schnell wie möglich gegenseitig auffressen ... Schüchterne Liebe versteckt sich in Winkeln und Löcher - weil sie eben schüchtern geworden ist! Heute verbindet niemand Liebe mit Mut, - kaum jemand wird über einen guten Menschen denken, dass er tapfer mutig sei. Wenn ein guter Mensch auftaucht und mutig spricht, schauen alle auf und staunen darüber, wie "er es gewagt hat"!

Dies geschah, weil heute das Leben beherrscht wird und den scheinbaren Vorteil die Feiglinge besitzen, die von Kopf bis Fuß bewaffnet sind. Die Menschen "rechnen" höchstens miteinander, aber sie respektieren sich nicht, und sie lieben sich trotz Diplomatenbesuchen und "internationaler Annäherung" nicht mehr... Aber das muss sich ändern! Die Guten und Edlen müssen Mut fassen, um andere und sich selbst zu retten!

Ein guter Mensch – ist nicht unbeding t, wer beim Anblick eines blutenden Fingers in Ohnmacht fällt! Ein guter Mensch zeigt nicht immer ein Engelsgesicht, als hätte er Honig im Mund! […] Ein guter Mensch liebt Wahrheit und Ehrlichkeit..., in seinem Lebens drückt er Einfachheit und Aufrichtigkeit des Herzens aus, er tut Gutes auch da, wo er Anstoß erregen könnte und Undank erwarten kann. Ein guter Mensch hat keine Angst vor Unhöflichkeit und brutaler Überlegenheit, aber überall bekämpft er das Böse mit demütigem Mut und wahrer Tapferkeit ...

Ein guter Mensch weiß nicht, was Furcht ist, fremd ist ihm jede Angst: er fürchtet sich nicht einmal vor Gott, weil er ihn einfach liebt! Ein guter Mensch muss nicht zum aufopferungsvollen Dienst für das Vaterland getrieben werden, es muss ihm nicht mit Erschießung wegen Desertion, Strafen für falsche Einkommensangaben, Gefängnis für Unredlichkeit gedroht werden ... Denn ein guter Mensch hat keine Angst, sondern er liebt! Nur die Liebe macht einen Menschen stark und mutig, nur die Liebe beseitigt alle Angst, nur die Liebe lässt keine Zusammenbrüche und Überraschungen zu!

Deshalb hilft ein guter Mensch bereitwillig und bemüht sich, so viel wie möglich zu tun! Jede gute Tat macht ihn reicher. Gott und die Nächsten liebend, liebt er sich selbst – wenn er andere nicht liebt oder keine Liebe ihnen erweisen kann, fühlt er sich ärmer. Für einen guten und liebenden Menschen ist das Leben hell und schön, fröhlich und entzückend, denn es ist Leben für Gott, es ist Leben in Gott! Das Böse flieht feige vor der Tapferkeit und dem stillen Mut des Guten.

 

Der dauernde Friedensdienst

vom 14.05.1939

Unsere Nation steht im gegenwärtigen Moment fest, bereit zur jeder Anstrengung. Der Wahnsinn des allmächtigen Diktators hat uns eine Botschaft gesandt, die von der gesamten polnischen Nation ausnahmslos abgelehnt wurde. Angesichts des Feindes ist Polen zu einem großen Kriegslager geworden. Unsere Armee lagert in vorgeschobenen Stellungen, aber hinter der Armee steht in Gedanken die ganze Nation. Wenn morgen der Krieg ausbricht, findet er uns bereit.

Aber angespannt in Habachtposition, werden wir nicht lange durchhalten. Die Nerven sind dem Dauerstress nicht gewachsen. Doch müssen wir bereit sein. Wie lange dieser bewaffnete Frieden dauern wird, ist nicht bekannt. Diplomatische Spiele werden in der Stille der Büros geplant und durchgeführt, aber der Herr der Geschichte ist Gott. Er ist auch Herr der Zeit. Wir wissen mit Sicherheit, dass wir, wenn der Krieg morgen ausbrechen würde, bereit wären, unser Leben für unser Vaterland zu opfern und dafür jedes Opfer zu bringen.

In der Zwischenzeit sind wir jedoch, angetrieben vom Feind – dem Eindringling – in Alarmbereitschaft.

Wir sind bereit, für unser Land zu sterben, aber nicht alle von uns sind bereit, dafür zu leben. […] Wir sind bereit, wir bleiben wachsam, aber in der Zwischenzeit arbeiten wir und erfüllen unsere normalen Pflichten. […]

Aber der Krieg ist nicht unser Ziel. Das Ziel ist Frieden, und wenn das ohne unseren Verlusten möglich wäre, Frieden ohne Krieg. Unsere geistigen Werte  möchten wir intakt halten. Und für einen solchen Frieden arbeiten, Frieden für alle, daran kann jeder mitwirken. Wir Katholiken haben unseren eigenen unschätzbaren Schatz. Wir haben einen Frieden, der nicht von dieser Welt ist. Wir müssen ihn für uns und unsere Brüder "ausbeuten". […]

Indem wir ruhig unsere Pflicht tun, werden wir Gottes Helden. Wir erfüllen, was Gott uns befohlen hat, und damit erfüllen wir auch, was für unser Vaterland notwendig ist. An einem gewöhnlichen grauen Wochentag müssen wir in diesen schwierigen Zeiten Saatbeeten des Friedens sein – durch Taten, Worte und Schriften. Und vor allem durch das Gebet, das das wirksamste Mittel im Dienst des Friedens ist.

Die heutigen Momente schaffen unsere Zukunft und müssen gelebt werden, ohne sie zu verschwenden. Wir müssen einen großartigen Job machen, bei dem das Wort „genug“ niemals ausgesprochen wird. […]

Frieden schließen und in Frieden arbeiten. Gib deinen Brüdern und stärke dich in einem Frieden, der nicht von dieser Welt ist, der Frieden Gottes. Dieser Frieden muss manchmal mit Blut erworben werden. Wir werden den Frieden auch bekommen, wenn wir jetzt dem Frieden dienen. Trotz aller Schrecken der heutigen Zeit arbeiten wir gelassen. . . . Und jeder Job, auch der unscheinbarste und unbedeutendste, wird zu einem Job im allgemeinen Friedensdienst.

 

Friedensstifter

vom 03.09.1939

Seit dem Ende des Ersten Weltkriegs bemühen sich die Menschen um die Festigung des Friedens. Die Menschen, die durch diese schreckliche Erfahrung der Kriegsjahre belehrt wurden, wissen ganz genau, dass jeder Krieg, selbst ein siegreicher, jedem Volk unabsehbare Verluste bringt. Das hat die gesamten Menschheit gelernt.

Inzwischen ist der unvermeidliche mit Krieg da und ein Sturm entfesselt, dessen Ende niemand außer Gott vorhersehen kann. Niemand kann seine Dauer vorhersagen. […] Niemand weiß, wie viel inneren Schaden die ganze Nation erleiden wird. Wie viele der besten Kräfte, wie viele der besten Einheiten, die ein Neues Polen aufbauen wollten, ein Polen des Rechts und der Ordnung, werden bei der Verteidigung seiner Freiheit fallen. Und wieder wird die kreative Arbeit von vorne beginnen müssen: Der Kampf um den Frieden.

Das Nebeneinander dieser Worte in so unmittelbarer Nähe zum Krieg klingt sehr seltsam. Und doch stellt sich heraus, dass sie manchmal zu einer Notwendigkeit werden. Kämpfen ist nicht nur Krieg. Kampf besteht nicht nur aus Bajonetten, Kanonen und Bomben. Ein solcher Kampf ist der letzte Weg, nachdem alle anderen Mittel erschöpft sind, Frieden zu schaffen.

Frieden ist Gottes Ordnung in der Welt. Frieden ist die Regel der Prinzipien Gottes unter den Menschen, sowohl klein als auch groß. Sowohl in der Familiengesellschaft als auch in den Staatsgesellschaften.

Und Gottes Ordnung basiert auf Gerechtigkeit, die von Liebe und gutem Willen getragen wird. Wo es keine solche Gerechtigkeit gibt, wird es keinen Frieden geben.

Manche Menschen können sich manchmal irren in dem Wissen, was gerecht ist. Sie können fälschlicherweise etwas Ungerechtes behaupten und glauben selbst, dass ihre Sache richtig ist. […] In solchen Fällen hilft  jeder, der die Irrenden überzeugt, er baut Gerechtigkeit, er baut wirklichen Frieden.

"Gesegnet sind die Friedensstifter."

Gesegnet sind diejenigen, die Gottes Gerechtigkeit und Ordnung in Familien und Länder bringen. Gesegnet sind die, die den Blinden die Augen öffnen.

Aber wenn trotz der Bemühungen rechtschaffener Menschen, wenn trotz ihrer Beweise offensichtlichen Unwahrheiten und Lügen nicht zurückgenommen werden, können sie dann als Jünger Christi diese Ungerechtigkeit ertragen und um des „Friedens willen“ den ungerechten Forderungen zustimmen?

NEIN. Hundertmal nein. Denn anstatt die Herrschaft von Gottes Ordnung und Gottes Prinzipien in der Welt zu verwirklichen, würden wir der Ungerechtigkeit zum Sieg verhelfen.

"Gesegnet sind die Friedensstifter." Gesegnet sind nicht die Pazifisten, die aus Angst vor dem eigenen Verlust jedes Opfer zur Wahrung des Friedens akzeptieren. Sie akzeptieren den Abfall vom Glauben, der eine klare Verletzung der Gerechtigkeit Gottes in den menschlichen Beziehungen darstellt.

"Gesegnet sind die Friedensstifter." Als letztes Mittel, um Gottes Ordnung zu bringen, um nicht nur nationale Ehre, sondern die ganze damit untrennbar verbundene Ordnung des Gottesgesetzes zu retten, bleibt der Krieg, und dann werden diejenigen gesegnet, die mit der Waffe in der Hand für den Frieden kämpfen. Dieses Mittel des Kampfes um den Frieden, der das einzige Glück aller ist, ist das letzte Mittel.

Es ist noch Zeit, Frieden ohne Krieg zu bringen. Es gibt Wege, Gerechtigkeit ohne Krieg zu schaffen. . . . Wenn der gute Wille nicht nur auf einer Seite vorhanden wird, wird Gottes Ordnung auf Erden gestärkt.

"Gesegnet sind die Friedensstifter." Lasst uns in unseren Familien durch gegenseitigen Respekt und brüderliche Liebe Frieden schließen. Lasst uns vor allem in diesem Moment der Geschichte, in dem wir uns auf das scheinbar unvermeidliche Mittel des Kampfes für den Frieden vorbereiten, um Frieden in den Herzen derer beten und erflehen, denen Gott die Verantwortung für die Geschichte der Menschheit übertragen hat.

 

 

Biografie über Pfarrer Jean Daligault

Biografie über Pfarrer Jean Daligault

von Klemens Hogen-Ostlender

Jedes Mal, wenn der neue Pfarrer von Villerville, Jean Daligault, seine Kirche betrat, wurde er an das Schicksal eines Blutzeugen für Christus erinnert.

Thomas Jean Monsaint war 214 Jahre zuvor in dem Städtchen an der normannischen Küste in dem 1939 immer noch existierenden Taufstein getauft worden.

Monsaint wurde Priester und fiel 1792 während der Schreckensherrschaft der Revolution in Paris den berüchtigten Septembermorden  zum Opfer. 1926 wurde er seliggesprochen. Monsaint bedeutet „Mein Heiliger“.

Pfarrer Jean Daligault schloss sich 1940 einer Widerstandsgruppe gegen die deutschen Besatzer an. War es ihm bewusst, dass ihn einmal ein ähnliches Schicksal mit dem seligen Priester verbinden würde?

Sein Leidensweg macht deutlich: Unmenschliche Behandlung gab es nicht nur im KZ. Gegner der Nationalsozialisten wurde schon im Gefängnis nicht mit Samthandschuhen angefasst – zumal, wenn er ein Priester war, der sich auch noch für Geheimnisse des Regimes interessierte.

Pfarrer und Künstler

Am 10. Juni 1899 hatte Daligault im nahe gelegenen Caen das Licht der Welt erblickt - „mit einem Fuß in einem Jahrhundert und mit einem Zeh im nächsten“, wie er später einmal sagte.

Schon auf der Schule entdeckte ein Zeichenlehrer die künstlerische Begabung des Jungen. Nach dem Abitur entschloss sich Jean Daligault trotz seiner Begeisterung für die Kunst, seiner geistlichen Berufung zu folgen.

Er trat in das Priesterseminar von Bayeux ein.

Im Ersten Weltkrieg wurde er als 18-Jähriger einberufen. Drei Jahre nach Kriegsende nahm er 1921 sein Studium wieder auf und wurde 1924 zum Priester geweiht.

Nach seinem Wirken als Vikar und dann als Pfarrer in verschiedenen Gemeinden der Region, kam er nach Villerville.

Mit dem Nationalsozialismus war er bereits bei einer Reise nach München, Köln und Nürnberg in den dreißiger Jahren in Kontakt gekommen.

Der Jubel über die NS-Propaganda erschreckte ihn.

Kurz vor dem deutschen Überfall auf Frankreich wurde Jean Daligault im Januar 1940 erneut einberufen, kehrte aber nach der französischen Kapitulation im August  zum priesterlichen Dienst  nach Villerville zurück.

Widerstand

Der Pfarrer fand bald Kontakt zum Lehrer Joseph Blanchard und dem Cafébesitzer Louis Maussant, die der neugebildeten Armée des Volontaires (Freiwilligenarmee) angehörten. Haupttätigkeit dieser Vereinigung waren das Ausforschen der Besatzungstruppen, von Fabriken, die für die Deutschen arbeiteten und das Verteilen einer Untergrundzeitung.

Der Engländer John Hopper unterhielt Verbindungen zur Résistance und zum britischen Geheimdienst. Was genau die Rolle des Pfarrers von Villerville war, ist unklar.

Ein deutsches Gericht fand später jedenfalls keine Handhabe, ihn zu verurteilen.

Seine künstlerischen Ambitionen vergaß Jean Daligault auch unter der deutschen Besatzung nicht. Er übte sich auch in Ölmalerei, Aquarellisieren sowie im Holzschnitt und  schuf Skulpturen.

Als Pfarrer war er ungewöhnlich für die damalige Zeit. Er filmte geistliche Aktivitäten seiner „Schäfchen“, spielte Theater mit einer Gruppe von Jugendlichen und legte viel Wert auf die sozialen Aspekte des Glaubenslebens.

Nacht und Nebel

Die deutsche Spionageabwehr kam im Sommer 1941 auf die Spur seiner Widerstandsgruppe.

Am 31. 08.1941 wurden Jean Daligault und seine beiden Freunde verhaftet und zunächst in ein Gefängnis im Raum Paris verlegt.

Bereits dort begann die Folter. Der Häftling wurde brutal verhört. Man schlug ihm die Zähne aus.

Pfarrer Daligault kam bald in ein die geschlossene Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses, wo die deutsche Abwehr ihn „in die Mangel“ nahm.

Im Juni 1942 wurden alle drei Gefangenen als „Nacht- und Nebel-Häftlinge“eingestuft. Nacht und Nebel („nuit et brouillard“war die fast poetisch anmutende französiche Bezeichnung dieser brutalen menschenverachtenden Praxis) war der von den Nationalsozialisten selbst intern verwendete Begriff für die von Adolf Hitler angeordneten „Richtlinien für die Verfolgung von Straftaten gegen das Reich oder die Besatzungsmacht in den besetzten Gebieten“.

Der Name sollte symbolisieren, dass das Schicksal der betreffenden Häftlinge sich in Nacht und Nebel der Geschichte verlieren sollte.

Fast 7000 Menschen wurden bei der Aktion aus Frankreich, Belgien, Luxemburg, den Niederlanden und Norwegen nach Deutschland verschleppt und dort heimlich abgeurteilt. Auch bei erwiesener Unschuld blieben sie aber in Haft, ohne dass die Angehörigen irgendwelche Auskünfte erhielten.

Ihr spurloses Verschwinden sollte der Abschreckung dienen. Der Erlass wurde nach Kriegsende als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingestuft.  Am 10. Oktober 1942 wurden Jean Daligault, Joseph Blanchard und Louis Maussant  nach Deutschland verschleppt.

Zwei Monate Bunker

Dort war das KZ-gleiche SS-Sonderlager Hinzert bei Trier für fünf Monate die erste Station einer nicht enden wollenden Tortur, in den „Trierer Jahren“.

Dort erlebte er die schlimmste Zeit - Schrecken pur - erfüllt mit Hunger, Frost, Steinbrucharbeit, Prügeln, weiterer Folter, Tyrannei und dem Miterleben zahlreicher Morde an Kameraden.

In den „regulären“ Gefängnissen Wittlich und Trier waren die Haftbedingungen später weniger brutal. Als erstes wurde Jean Daligault  in Hinzert für etwa zwei Monate in Einzelhaft in den trotz des nahenden Winters ungeheizten "Bunker" gesperrt.

Über seine danach folgende Zeit im Lager berichtete der Mitgefangene Serge Croix, dass der Pfarrer während der Mahlzeiten gezwungen wurde, Gebete zu singen statt seine Essensration zu sich zu nehmen.

Er lebte von Teilen der Brotrationen, die andere Häftlinge für ihn aufsparten. Er musste sie in Wasser einweichen, weil er keine Zähne mehr hatte.

Jean Daligault schuf während seiner Haft Zeichnungen und Skulpturen, die noch heute über die Zustände in den Lagern Zeugnis ablegen.

Einem Mithäftling kam sein Schaffensdrang vor, als wäre van Van Gogh in Hinzert eingekerkert.

Der Luxemburger ´Künstler Lucien Wercollier, der ebenfalls im Sonderlager eingekerkert war, erhielt von Daligault zum Dank für Nahrungsmittel eine aus einem Suppenknochen geschnitzte Skulptur, die eine der üblichen Foltermethoden zeigte: Zwei Häftlinge wurden an den Handgelenken zusammen gefesselt und mussten Rücken an Rücken in Wind und Wetter im Freien stehen.

Wercollier gelang es, dieses Schnitzwerk zu verstecken und zu bewahren. Er schuf später sein großformatiges Werk „Le prisonnier politique“ („Der politische Gefangene) nach Daligaults Skulptur.  

Der Künstler-Pfarrer nutzte in Lager alle ihm zur Verfügung stehenden Hilfsmittel: Bettbretter, Hockerbeine, Zeitungsfetzen, Rost von Rohren, Holzsplitter, Seife, Strohhalme  und sogar seine Suppe. Seine Farben stellte er aus Kalk oder Schimmel her, die er von den Wänden seiner Zelle geschabt hatte.

„Er produziert seine Werke mit den Mitteln, die ihm zur Verfügung stehen, also mit nichts“, sagte ein Leidensgenosse, der hinzufügte,

“Daligault berührte die nationalsozialistische Barbarei an ihrem schwachen Punkt: dem Zeugnis.

Er war David gegen Goliath“.

Volksgerichtshof

Kälte und Essensentzug verschlimmerten die schwere Tuberkulose noch, die der Häftling sich in französischen Gefängnissen bereits zugezogen hatte.

Ihm und seinen beiden Freunden stand ein Prozess vor einem Sondergericht bevor.

Der musste wegen Bombengefahr mehrmals an einen anderen Ort verlegt werden.

Jean Daligault lernte so die Gefängnisse Trier, Wittlich und den Kölner „Klingelpütz“ kennen. Ab dem 8. September 1943 war das Trio wieder in der Trierer Anstalt.

Es musste aber noch bis zum 29. November 1943 auf ihr Verfahren vor dem 2. Senat des Volksgerichtshofs warten.

Das Gericht verhängte gegen Joseph Blanchard und Louis Maussant die Todesstrafe, was es allein in Trier in den Kriegsjahren rund 200 Mal tat.

Beide wurden am 15. Februar 1944 im Klingelpütz mit dem Fallbeil hingerichtet.

Gegen Jean Daligault aber gab es kein Urteil.

In der erhalten gebliebenen Anklageschrift werden schwere Vorwürfe gegen ihn erhoben. In der Urteilsbegründung sucht man seinen Namen aber vergeblich.

Waren die „Beweise“ sogar dem NS-Gericht zu dünn?

Der Künstler-Pfarrer aber hat auch seinen fünf Richtern künstlerisch die Maske vom Gesicht gezogen, sie in einer holzschnittartigen Miniatur bloßgestellt samt Hakenkreuz am linken Ärmel und kantiger Raubvogel-Physignomie.

Dieses Kunstwerk blieb wie viele andere der Nachwelt erhalten.

 

„Getreu“ den Nacht und Nebel-Richtlinien blieb der Schwerkranke auch ohne Urteil in Haft.

Auch mit Billigung des Gefängnispersonals war er weiter künstlerisch tätig.

Während seiner Gefangenschaft, vor allem in Trier, hatte er nie aufgehört zu zeichnen.

Der katholische Gefängnispfarrer, Nikolaus Jonas, versorgte ihn mit Arbeitsmaterial. Ihm vertraute der geschundene Häftling mehr als 150 Zeichnungen und Gemälde an.

Nach dem Krieg übergab Jonas die Sammlung Abbé de la Martinière, der selbst ein NN-Deportierter war. 

Zahlreiche Werke sind heute in Museen in Besançon und Caen ausgestellt.

Kritiker äußerten sich begeistert:

„Dieser atypische Priester raubt uns den Atem“ und

„Die markante Ikonographie offenbart einen unvergesslichen Mann Gottes“.

Dachau

Ein dreiviertel Jahr nach seinem Prozess kam der Pfarrer von Villerville im August 1944 ins Zuchthaus München-Stadelheim, das seine letzte Station vor dem KZ Dachau werden sollte.

Vor der Anstalt erinnert heute ein Mahnmal daran, dass dort von 1934 bis zum Kriegsende 1188 Menschen unter dem Fallbeil starben.

Das aber war nicht das Schicksal Jean Daligaults, weil gegen ihn kein amtliches Todesurteil vorlag.

Dieser Umstand rettete ihn nach nationalsozialistischer Logik allerdings nicht vor dem Tod. Der sollte im Konzentrationslager Dachau „erfolgen“.

Dass Daligault dort eingeliefert und noch am selben Tag ermordet wurde, steht fest. 

Darin sind sich alle Angaben einig.

Über das Datum seines Todes machen Sekundärquellen jedoch ganz unterschiedliche Aussagen, ohne allerdings jemals zu nennen, woher sie sie haben.

Die Angaben reichen vom 20. März, den der ebenfalls in Dachau inhaftierte deutsche Pfarrer Hugo Pfeil als eine Möglichkeit angab, bis zum oft genannten 28. April, dem Tag vor der Befreiung des KZ.

Weder die Arolsen Archives noch das Archiv der Gedenkstätte in Dachau selbst haben jedoch Unterlagen über den genauen Todestag.

Kurz vor Kriegsende herrschten im KZ Dachau schon chaotische Zustände.

Die Akten des Zuchthauses Stadelheim, die ins Staatsarchiv München ausgelagert wurden, halten aber zumindest minutiös fest, dass Jean Daligault am 16. März 1945 um 10.30 Uhr von der Gestapo aus Stadelheim abgeholt wurde.

Das war genau zwei Wochen vor Gründonnerstag.

Gestapo-Häftlinge wurden üblicherweise erst einmal im „Hausgefängnis“ der Dienststelle  im Wittelsbacher Palais in der heutigen Brienner Straße gebracht.

Das war zu diesem Zeitpunkt ziemlich überfüllt.

Für die Gestapo wäre es unsinnig gewesen, sich mit einem zur Exekution im KZ bestimmten Gefangenen unnötig lange zu „belasten“. 

Logischer wäre es daher, ihn möglichst schnell seiner „Bestimmung“ zuzuführen.

Zum Beispiel am Dienstag, dem 20. März 1945. Das ist der Tag, den Pfarrer Pfeil nannte.

Für diesen Tag spricht auch, dass es am Rand von Jean Daligaults Geburtsurkunde wohl kurz nach dem Krieg vermerkt wurde.

Wenn das tatsächlich so war, starb der Pfarrer von Villerville zehn Tage vor dem Karfreitag jenes Jahres.

Das letzte Geräusch, das er hörte, war wohl das Durchladen der Pistole, die ein SS-Mann ihm ins Genick drückte.

Der ausgemergelte schwerkranke Häftling wurde eines von unzähligen Opfern eines Regimes, das neben dem Tod von rund elf Millionen Juden nach seinem „Endsieg“ auch die Ausrottung von 30 Millionen Christen geplant hatte.

Ob Jean Daligault in seinen letzten Augenblicken dieses Lebens an den seligen Pfarrer Thomas Jean Monsaint dachte? Wir wissen es nicht.

Mangelnde Zeugnisse seiner Mitgefangenen über das Glaubensleben Daligaults sind auch der Grund dafür, dass nie ein Seligsprechungsverfahren für den Künstlerpfarrer eröffnet wurde.

Zur Anerkennung als Blutzeuge für Christus gehört aber nicht nur die Tötung aus Hass auf den Glauben, sondern auch die Haltung, dass der Märtyrer sein Leben bewusst in der Nachfolge Christi zum Opfer bringt.

Den überlebenden Mitgefangenen des Pfarrer von Villerville waren spirituelle Belange möglicherweise weniger wichtig, weshalb sie darüber nichts berichteten.

Wäre Jean Daligault länger Häftling im Priesterblock im KZ Dachau gewesen, wäre er vielleicht zur Ehre der Altäre erhoben worden.

 

Quellen:

https://de.wikipedia.org/wiki/Jean_Daligault

https://kulturdb.de/einobjekt.php?id=29145 https://gefaengnisseelsorge.net/haeftling-jean-daligault

http://www.kunst-und-kultur.de/index.php?Action=showMuseumExhibition&aId=439

https://archives.calvados.fr/page/jean-daligaulthttps://www.ouest-france.fr/normandie/jean-daligault-des-dessins-doutre-tombe-3369189

 https://rpb.lbz-rlp.de/cgi-bin/wwwalleg/srchrnam.pl?db=rnam&recnums=0011457

https://www.lepredauge.com/jean-daligault

https://www.revue-christus.com/article/l-abbe-jean-daligault-1018

https://de.wikipedia.org/wiki/Wannseekonferenz#Die_Entscheidung_zum_Holocaust

https://de.wikipedia.org/wiki/Generalplan_Ost

https://stevemorse.org/dachau/dachau.html

http://newsaints.faithweb.com/martyrs/Nazis2.htm

 

Gedruckte Quellen:

L´Abbé Jean Daligault – Un peintre dans les camps de la mort. Christian Dorrière,  Edition du Cerf, Paris, 2001

Wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte. Ralph Giordano, Rasch und Röhring Verlag, Hamburg, 1989

 

Recherchiert haben außerdem:

Arolsen Archives

Archiv der Gedenkstätte Dachau

Bayerisches Statsarchiv (Aktenbestand der JVA Stadelheim)

 

 

Bildtext: Dieses Selbstportrait schuf Jean Daligault im Gefängnis von Trier am 22.Mai 1944, dem Montag vor Pfingsten. Copyright:  Musée de la Résistance et de la Déportation de Besançon - France

 

Verein Selige Märtyrer von Dachau e. V.

 



Um finanzielle Unterstützung wird gebeten.

Spendenkonto
DE54 7005 1540 0280 8019 29
BYLADEM1DAH

Gefördert durch: