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Giovanni Palatucci- Märtyrer von Dachau- Versuch einer Rehabilitierung

Foto: Foto und Briefmarke mit dem Porträt des Märtyrers 

Giovanni Palatucci- Märtyrer von Dachau- Versuch einer Rehabilitierung

ein Artikel von Klemens-Hogen-Ostender

Das Orchester des Musikgymnasiums „Teresa Confalonieri“ aus dem italienischen Campagna gab am 7. Mai 2025 bei der italienischen Votivkapelle „Regina Pacis“ auf dem Leitenberg bei Dachau anlässlich des 80. Todestages des im KZ Dachau ermordeten Polizeibeamten Giovanni Palatucci ein Konzert. Es war Teil einer Veranstaltungsreihe zu Ehren des NS-Opfers.

Palatucci  hatte in den Kriegsjahren zahlreiche Juden  vor der Ermordung durch die Nationalsozialisten gerettet.

2013 hatte das nach einem italienischen Partisanen und Auschwitz-Überlebenden benannte Primo-Levi-Zentrum in New York dem Polizeibeamten aber vorgeworfen, er habe keineswegs Juden vor der Verfolgung gerettet, sondern sei Vollstrecker ihrer Deportation gewesen. Belege für die Vorwürfe wurden nicht öffentlich gemacht. In Deutschland berichteten unter anderem das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ und die „Taz“ in großer Aufmachung. In Rom reagierte die Historikerin Anna Foa, Spezialistin für italienisch-jüdische Geschichte, ganz anders auf die Behauptungen.

In der Vatikan-Zeitung "L'Osservatore Romano" bezeichnete sie die Behauptungen als Angriff auf die Kirche. Mit der Demontage eines Katholiken, der Juden während des Holocaust half, wolle man eigentlich den damaligen Papst Pius XII. treffen. Auch gegenüber einer Anfrage der Associazione Giovanni Palatucci wiederholte das Primo-Levi-Zentrum die Anschuldigungen, ohne sie zu belegen.

Das Jerusalemer Holocaust-Gedenkzentrum Yad Vashem, das Palatucci den Ehrentitel „Gerechter unter den Völkern“ erteilt hatte für seinen selbstlosen Einsatz bei der Rettung von Juden, überprüfte daraufhin die Geschichte von Giovanni Palatucci zwei Jahre lang und kam zu dem Ergebnis: Er und sein Onkel, Giuseppe Maria Palatucci, der Bischof von Campagna, haben Juden wirklich gerettet. Professor David Cassuto von der Kommission der Gerechten in Yad Vashem betonte, es gebe keine neuen Tatsachen, die eine Aberkennung der Ehrung Palatuccis als  Gerechter unter den Völkern aus dem Jahr 1990 rechtfertige. Der Holocaust-Historiker und Schriftsteller Roberto Malini erklärte: „Die Beweise sind schlüssig und zahlreich. Der Revisionismus an den Figuren der Gerechten ist ein ernstes und unverständliches Phänomen, das den Wert der Zeugnisse negiert und die Tür zur Verleugnung öffnet“. Yad Vashem prüfe jede Anerkennung gewissenhaft und spreche sie nur aus, wenn es Beweise dafür gibt. Irena Steinfeldt, Direktorin der Abteilung Gerechte unter den Völkern, betonte: „Wir haben keine Unterlagen erhalten, die eine erneute Übermittlung der Akte an die Kommission rechtfertigen. Ich habe weder vom Primo Levi-Institut gehört, noch habe ich einen Bericht von der in Italien eingerichteten Historikerkommission erhalten. Die Tatsache, dass Yad Vashem über zwei Jahre mit dieser Akte verbracht hat, zeigt, dass sie die Anschuldigungen ernst genommen haben“.

Auch die Päpstliche Lateranuniversität in Rom prüfte den Fall Pallatucci und erstellte ein Gutachten. Durch das Bekanntwerden der Vorwürfe gegen Palatucci meldeten sich viele Zeitzeugen und Nachkommen von durch Palatucci Geretteten, so dass nun noch viel mehr Beweise für sein Wirken als Retter Jüdischer Menschen vorliegen, als vor dem Skandal. Leider hat diese Tatsache die Öffentlichkeit in Deutschland bisher wenig erreicht.

Giovanni Palatucci wurde am 31. Mai 1909 in Montella in der Provinz Avellino geboren. Die Familie war sehr religiös. Zwei Onkel väterlicherseits, Antonio und Alfonso, waren Franziskaner, ein dritter, Giuseppe Maria Palatucci, wurde 1937 Bischof von Campagna bei Salerno. Das familiäre Umfeld prägte die Seele von Giovanni, indem es ihm Selbstverleugnung und Nächstenliebe einprägte. Der junge Mann studierte nach dem Besuch des Gymnasiums und dem Militärdienst Jura.

Als Rechtsanwalt trat er im August 1936 in Genua in die Verwaltungsabteilung der Polizei ein. Professor Pier Luigi Guiducci von der Päpstliche Lateranuniversität in Rom wies nach umfangreichen Recherchen darauf hin, dass Palatucci nach seiner (Straf-) Versetzung ins damals italienische Fiume in Istrien (heute Rijeka) zum Leiter des Ausländeramtes ernannt wurde. Er stellte Aufenthaltsgenehmigungen für Juden aus, die de facto zu Ausländern in ihrem eigenen Land geworden waren, dabei legte er die ihm gegebenen rechtlichen Spielräume sehr weit aus. Aus Dokumenten geht hervor, dass Palatucci nicht unbedingt mit der aktuellen Politik übereinstimmte, etwa mit der seit 1933 für Beamte obligatorischen Einschreibung in die Nationalfaschistische Partei, der er erst 1938 beitrat. Er kritisierte faschistische Exzesse und Großrazzien und distanzierte sich von rassistischen Tendenzen, die die Grundlage der Verfolgung von Juden und anderen Minderheiten bildeten. Er blieb außerdem seinem katholischen Glauben treu und nahm weiter aktiv am Leben der Kirchengemeinde teil.
 
Durch die italienischen Rassengesetze wurden etwa 500 Juden aus Fiume und der Region 1938/39 zu Staatenlosen ohne rechtlichen Schutz. Bis 1943/44 war Giovanni Palatucci mit der Tragödie der jüdischen Flüchtlinge aus Österreich, der Tschechoslowakei, Ungarn, Polen, Kroatien und anderen Ländern konfrontiert. Er setzte alles daran, Italienern jüdischer Herkunft und ausländischen Juden zu helfen, die die von Deutschland besetzten Gebiete verlassen und nach Italien flüchten wollten. Da er keine Dokumente mit den tatsächlichen Angaben ausstellen konnte, gab er Transitvisa aus, besorgte gefälschte Pässe und versuchte, die Deportation von Juden in italienische Internierungslager, wenn möglich zu verhindern oder sie zumindest in das Internierungslager von Campagna in der in der Diözese seines Onkels zu bringen. Dort konnten ihre Lebensbedingungen vom Bischof mit Hilfe der örtlichen Bevölkerung gelindert werden. Zwei Klöster in Campagna beherbergten hunderte Juden. Als Italien 1943 einen Waffenstillstand mit den Alliierten unterzeichnete, kamen deutsche Soldaten, um die dort lebenden Juden in den deutschen Machtbereich zu bringen. Als sie die Klöster erreichten, fanden sie dort aber niemand vor. Polizeibehörden, der Bischof und politische Beamte hatten die bedrohten Menschen in die Berge geführt. Als Giovanni Palatucci erkannte, dass er von den deutschen Militärbehörden verdächtigt wurde, vernichtete er die in seinem Besitz befindlichen Judenlisten, um Identifizierung und Ergreifung der Betroffenen unmöglich zu machen.

Das Verhältnis zu seinen Vorgesetzten war angespannt. In einem Brief an Verwandte schrieb er 1941: „Sie wissen, dass sie mich brauchen. Es scheint sogar, dass sie ohne mich nicht auskommen. Sie schätzen mich jedenfalls sehr. Sie schätzen meine Fähigkeiten und wie ich arbeite, aber sie wissen auch - Gott sei Dank - dass ich nicht wie sie bin. Ich kann den Menschen etwas Gutes tun, wofür sie mir sehr dankbar sind“.

Mehr als einmal stellte er wegen des Drucks, den er verspürte, Antrag auf Versetzung und  wurde daraufhin genauer beobachtet. 1943 legte ein vom Ministerium entsandter Inspektor, der seine Arbeit unter die Lupe nahm, einen sehr negativen Bericht vor. Darin stand unter anderem: „Das Büro, dem Giovanni Palatucci seit vielen Jahren zugeteilt ist, ist in hohem Maße ineffizient. Fast die gesamte Tätigkeit beschränkt sich auf  die Zusammenstellung der Personalakten und Daten der Ausländer. Aus den Akten geht hervor, dass sich das Amt nie die Mühe gemacht hat, die Ausländer zu überprüfen. Im Lichte der von mir durchgeführten gründlichen Untersuchung kann ich bestätigen, dass in den mehr als drei Jahren, die Palatucci die Leitung des Amtes innehatte, nichts oder nur sehr wenig für eine ordnungsgemäße Verwaltung des Amtes getan wurde, was nicht nur auf mangelndes Interesse, sondern auch auf eine geringe Kenntnis der für den Dienst geltenden Vorschriften schließen lässt“. In den Wirren de Waffenstillstands Italiens mit den Alliierten und der deutschen Besetzung von Teilen des Landes wurde der so Gerügte dennoch Questore (Polizeipräsident) von Fiume.

In der Nacht zum 13. September 1944 wurde Giovanni Palatucci auf Befehl der deutschen NS-Behörden verhaftet. Ihm wurde Hochverrats vorgeworfen. Die Nachricht verbreitete sich schnell. Titos Geheimpolizei bekam Wind davon und stellte fest: „Nach den Informationen, die wir erhalten haben, wurde er verhaftet, weil er versucht hat/will, eine Gruppe von Juden zu retten, für die er besondere Sympathien hegt“. Palatucci wurde gefoltert, nannte aber keine Namen von Regimegegnern.

Nach der Verhandlung vor einem Kriegsgericht wurde er nach Triest überstellt und kam am 18. Oktober 1944 ins Konzentrationslager Dachau.

Mehrere andere Häftlinge bezeugten später, ihm dort begegnet zu sein. Einer sah ihn auf der Krankenstation.  Am 10. Februar 1945 starb Giovanni Palatucci während einer Typhusepidemie, die allerdings in seiner Baracke nicht auftrat. Das könnte bedeuten, dass er gar nicht am Typhus starb, sondern mit einer tödlichen Injektion ermordet. Wurde. Seine Eltern erfuhren erst 1948 von seinem Tod.

Der oft als der „Oskar Schindler Italiens“ bezeichnete Märtyrer ist auf dem Friedhof auf dem Leistenberg begraben. Eine Gedenktafel an der Friedhofsmauer erinnert an ihn.

Er ist in Italien sehr bekannt und ein wichtiges Vorbild für Mut und Zivilcourage. Bei dem Besuch der italienischen Gruppe zum Konzert auf dem Leitenberg im Mai 2025 wurde geäußert, dass sich Menschen in Italien sehr wünschen, dass Palatucci auch in Deutschland bekannt und geehrt wird, dort wo er starb.

Es gibt es zahlreiche Zeugnisse dafür, dass Palatucci Juden das Leben rettete, von jüdischen Einrichtungen, von Menschen, denen er half und von italienischen Institutionen. 

Einige Jahre nach seinem Tod kam die Anerkennung, nicht nur in Italien, sondern auch in Israel. 1953 benannte die Stadt Ramat Gan eine Straße nach dem Polizeibeamten. 1955 verlieh ihm die Union der italienischen jüdischen Gemeinden als Zeichen der Dankbarkeit eine Goldmedaille. 1995 zeichnete Staatspräsident Oscar Luigi Scalfaro ihn mit der Goldenen Medaille für zivile Verdienste aus.

Am 21. März 2000 wurde schließlich der Seligsprechungsprozess für den Diener Gottes Giovanni Palatucci eröffnet. Papst Johannes Paul II. reihte ihn im selben Jahr unter die Märtyrer des 20. Jahrhunderts ein. Das Seligsprechungsverfahren pausierte aber bei Bekanntwerden der Vorwürfe gegen Palatucci. Nach dem positiven Gutachten der Päpstliche Lateranuniversität in Rom kann es nun weitergeführt werden und eine baldige Seeligsprechung wird erhofft und erbetet. Für das Verfahren verfasste ein Spezialist für dieses Fachgebiet, Professor Matteo Luigi Napolitano von der Universität Molise, später eine ausführliche Untersuchung der Kontroverse über Giovanni Palatucci.

Das ganzes Leben von Palatucci war demnach von einem tiefen Glauben beseelt, den er in voller Übereinstimmung mit dem Willen Gottes unter Inkaufnahme jeder Prüfung lebte, um seinen verfolgten Brüdern und Schwestern bis zum äußersten Opfer seines Lebens zu dienen.

Das Beispiel, das Giovanni Palatucci heute der Kirche und der Gesellschaft gibt, ist nach Napolitanos Worten das eines Mannes, der seine Rolle in der Öffentlichkeit egoistisch für sich selbst hätte ausnutzen können, es aber stattdessen vorzog, sich der Rettung Verfolgter widmen, indem er freiwillig seine Existenz aufs Spiel setzte als praktische Umsetzung dessen, was Johannes schreibt: „Daran haben wir die Liebe erkannt, dass Er sein Leben für uns hingegeben hat. So müssen auch wir für die Brüder das Leben hingeben“.

In einem Gebet für den Diener Gottes heißt es „Lass sein Opfer ein Motiv des Lobes für deine Vorsehung sein, die die Geschichte leitet“.

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Verein Selige Märtyrer von Dachau e. V.

 



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